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Auszüge
aus der Rede von Dominik Perler, damals Professor für Philosophie
an der Universität Basel (seit 2003 Humboldt-Universität Berlin),
gehalten anlässlich der Vernissage der ersten Ausstellung in unserer
Galerie („Schichten“ im Januar 2002):
"Das
Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es
von uns ab und stellen uns fremd.“ Mit diesen Sätzen eröffnet
Christa Wolf ihren autobiografi-schen Roman Kindheitsmuster. Das Vergangene,
von dem sie spricht, ist all das Erlebte, Erfahrene und Erlittene, das
hinter uns liegt und scheinbar endgültig dem Reich des Toten angehört
– aber eben nur scheinbar. Denn unsere Erfahrungen sind nicht unwiederbringlich
vergangen ... sie begleiten uns stets ... und sind in gewisser Weise immer
gegenwärtig, und zwar nicht nur als der Zielpunkt unserer Erinnerun-gen,
sondern als ein eng geflochtenes Netz von Verhaltensweisen, Reaktionsmustern
und Denkformen, das sich gleichsam über uns legt. ... sich wie Schichten
auf uns legt – Schichten, die im Verlauf der Zeit immer zahlreicher
werden und nicht getilgt werden können. ... Alle Lebensschichten
sind gleichzeitig gegenwärtig. Es ist nicht zuletzt diese unmittelbare
Präsenz des Vergangenen, die es uns erlaubt, unserern Ort in der
Gegenwart immer wieder neu zu bestimmen ... das Herstellen neuer Relationen
zwischen den einzelnen Schichten und das Wiederentdecken vermeintlich
verlorener Schichten macht Neuanfänge möglich ...
Treten
wir nun näher an ein Bild von Barry Cotton heran, verflüchtigt
sich dessen eindeutige Struktur. Was zunächst wie ein einheitlicher
weisser Hintergrund aussah, zeigt sich nun als Fläche, die ihrerseits
einen Hintergrund hat ... und was zunächst wie ein eindeutiger orange-blauer
Vordergrund erschien, erhält nun eine Tiefenwirkung ... etwas verwirrt
fragt man sich: was ist nun Vordergrund, was ist Hintergrund? Ist es überhaupt
angemessen, von Vorder- und Hintergrund zu sprechen? Je nach-dem, worauf
wir uns konzentrieren, rückt mal diese und mal jene Fläche in
den Vordergrund ... so sehen wir immer wieder etwas Neues und betrachten
doch ein und dasselbe Bild.
Dies
ist möglich, weil die verschiedenen Schichten gleichzeitig präsent
sind und immer wieder die Wahrnehmung eines neuen Vorder- oder Hintergrundes
erlauben. Es gibt somit keine Schichtung, die ihre Bedeutung eingebüsst
hat und „tot“ ist ... Es ergibt sich eine ähnliche Situation
wie bei der Bestimmung von Vergangenheit und Gegenwart. Genau wie das
Vergangene gleichsam in die Gegenwart hinein greift, ist auch der Hintergrund
im Vordergrund gegenwärtig.
Als
Bildbetrachter befinden wir uns in einer ähnlichen paradoxen Situation
wie die Ich-Erzählerin in Christa Wolf’s Roman, wo in der sprachlichen
Artikulation klare Grenzen gezogen werden sollen, die es in der Selbsterfahrung,
im Gespräch mit dem Kind, das sie einmal war, nicht gibt ... In unserer
visuellen Erfahrung gibt es keine scharfen Trennlinien. Je nachdem, worauf
sich unser Blick richtet, tritt mal diese und mal jene Farbe hervor, und
es entsteht mal diese und mal jene Gestalt. Wir nehmen Schichten auseinander,
die in der Bildbetrachtung immer zusammen präsent sind.
...
Hier zeigt sich der besondere Reiz der ästhetischen Erfahrung ...
eine ästhetische Erfahrung machen wir genau dann, wenn wir ein Wahrnehmungserlebnis
haben – ein Erlebnis, das sich nicht vollständig sprachlich
beschreiben lässt. Ein solches Erlebnis wird durch eine sprachliche
Artikulation sogar verfälscht. Denn wir trennen in der Beschreibung
jene Schichten, die wir im Wahrnehmungserlebnis zusammen sehen ...
Das
Faszinierende an den Bildern von Barry Cotton besteht darin, dass sie
sich nicht auf eine klare Ordnung festlegen lassen und gerade dadurch
verdeutlichen, welche Kluft zwischen sprachlicher Beschreibung und ästhetischer
Erfahrung liegt. Im visuel-len Erlebnis sind uns – ganz im Gegensatz
zur sprachlichen Beschreibung – mehrere Schichten gleichzeitig präsent
und regen uns dazu an, gleichzeitig verschiedene Formen und Gestalten
zu sehen. Nur im Sehen wird das Vergangene
gegenwärtig.“ |
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Auszüge
aus einem Gespräch mit Barry Cotton, anlässlich der Ausstellung
vom Februar/März 2005 in der Galerie „Die Aussteller“:
„Zurzeit
mache ich zwei Sachen, die grösseren Acryl-Bilder auf Leinwand bzw.
Baumwolle, und die kleineren Papierarbeiten ...
Bei den Arbeiten auf Leinwand fange ich mit mehreren Leinwänden,
vielleicht 10 o-der 12, gleichzeitig an. Es ist eine Arbeit zwischen Herz
und Kopf, in ständigem Wechsel ... es kommt die Kopfarbeit, ich nehme
Formen und Bildkomposition wahr, dann addiere ich, eine zweite Farbe kommt
hinzu ... das Unbewusste spielt hinein: wenn es mir zu stark gewollt erscheint,
komme ich wieder mit dem Gefühl, mit dem Herz, um das streng Geformte
aufzulockern ... dann wieder Zumachen mit Weiss, mit Gelb oder einer andern
Farbe ... im Nachhinein denke ich, dass es etwas mit dem Buddhismus zu
tun hat, mit der Vergänglichkeit, die sehr wichtig ist; auch, wie
Dominik Perler geschrieben hat, mit den Schichten aus der Kindheit, die
immer noch da sind; der erste Pinselstrich, der auf die Leinwand kommt,
sieht man beim fertigen Bild immer noch durchscheinen. Schliesslich ergeben
sich verschiedenste Formen, die aber alle voneinander abhängig sind,
auch dies eine im Buddhismus wichtige Idee ... Die Bilder sollen Energie
zeigen. Es gibt pflanzliche Teile, körperliche Formen, Mineralisches,
alles soll im Fluss sein, in Bewegung ... das Vergangene und die Gegenwart
sollen ineinander greifen ... Chaos und Ordnung, das ist auch vorhanden,
vom Kopf das Konstruierte, und wenn ich merke, dass etwas zu starr, zu
perfekt wird, muss ich es zerstören, und dann wird etwas Neues geboren.“
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