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Die Galerie mit  dem roten Punkt
St.Alban-Vorstadt 57, 4052 Base
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Barry Cotton

Geboren 1948 in Ipswich (England)
Ausbildung an der Schule für Gestaltung in Basel
Arbeitet seit 1969 in Basel
Lebt seit 2004 in Biel - Benken


 

Auszüge aus der Rede von Dominik Perler, damals Professor für Philosophie an der Universität Basel (seit 2003 Humboldt-Universität Berlin), gehalten anlässlich der Vernissage der ersten Ausstellung in unserer Galerie („Schichten“ im Januar 2002):

"Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“ Mit diesen Sätzen eröffnet Christa Wolf ihren autobiografi-schen Roman Kindheitsmuster. Das Vergangene, von dem sie spricht, ist all das Erlebte, Erfahrene und Erlittene, das hinter uns liegt und scheinbar endgültig dem Reich des Toten angehört – aber eben nur scheinbar. Denn unsere Erfahrungen sind nicht unwiederbringlich vergangen ... sie begleiten uns stets ... und sind in gewisser Weise immer gegenwärtig, und zwar nicht nur als der Zielpunkt unserer Erinnerun-gen, sondern als ein eng geflochtenes Netz von Verhaltensweisen, Reaktionsmustern und Denkformen, das sich gleichsam über uns legt. ... sich wie Schichten auf uns legt – Schichten, die im Verlauf der Zeit immer zahlreicher werden und nicht getilgt werden können. ... Alle Lebensschichten sind gleichzeitig gegenwärtig. Es ist nicht zuletzt diese unmittelbare Präsenz des Vergangenen, die es uns erlaubt, unserern Ort in der Gegenwart immer wieder neu zu bestimmen ... das Herstellen neuer Relationen zwischen den einzelnen Schichten und das Wiederentdecken vermeintlich verlorener Schichten macht Neuanfänge möglich ...

Treten wir nun näher an ein Bild von Barry Cotton heran, verflüchtigt sich dessen eindeutige Struktur. Was zunächst wie ein einheitlicher weisser Hintergrund aussah, zeigt sich nun als Fläche, die ihrerseits einen Hintergrund hat ... und was zunächst wie ein eindeutiger orange-blauer Vordergrund erschien, erhält nun eine Tiefenwirkung ... etwas verwirrt fragt man sich: was ist nun Vordergrund, was ist Hintergrund? Ist es überhaupt angemessen, von Vorder- und Hintergrund zu sprechen? Je nach-dem, worauf wir uns konzentrieren, rückt mal diese und mal jene Fläche in den Vordergrund ... so sehen wir immer wieder etwas Neues und betrachten doch ein und dasselbe Bild.

Dies ist möglich, weil die verschiedenen Schichten gleichzeitig präsent sind und immer wieder die Wahrnehmung eines neuen Vorder- oder Hintergrundes erlauben. Es gibt somit keine Schichtung, die ihre Bedeutung eingebüsst hat und „tot“ ist ... Es ergibt sich eine ähnliche Situation wie bei der Bestimmung von Vergangenheit und Gegenwart. Genau wie das Vergangene gleichsam in die Gegenwart hinein greift, ist auch der Hintergrund im Vordergrund gegenwärtig.

Als Bildbetrachter befinden wir uns in einer ähnlichen paradoxen Situation wie die Ich-Erzählerin in Christa Wolf’s Roman, wo in der sprachlichen Artikulation klare Grenzen gezogen werden sollen, die es in der Selbsterfahrung, im Gespräch mit dem Kind, das sie einmal war, nicht gibt ... In unserer visuellen Erfahrung gibt es keine scharfen Trennlinien. Je nachdem, worauf sich unser Blick richtet, tritt mal diese und mal jene Farbe hervor, und es entsteht mal diese und mal jene Gestalt. Wir nehmen Schichten auseinander, die in der Bildbetrachtung immer zusammen präsent sind.

... Hier zeigt sich der besondere Reiz der ästhetischen Erfahrung ... eine ästhetische Erfahrung machen wir genau dann, wenn wir ein Wahrnehmungserlebnis haben – ein Erlebnis, das sich nicht vollständig sprachlich beschreiben lässt. Ein solches Erlebnis wird durch eine sprachliche Artikulation sogar verfälscht. Denn wir trennen in der Beschreibung jene Schichten, die wir im Wahrnehmungserlebnis zusammen sehen ...

Das Faszinierende an den Bildern von Barry Cotton besteht darin, dass sie sich nicht auf eine klare Ordnung festlegen lassen und gerade dadurch verdeutlichen, welche Kluft zwischen sprachlicher Beschreibung und ästhetischer Erfahrung liegt. Im visuel-len Erlebnis sind uns – ganz im Gegensatz zur sprachlichen Beschreibung – mehrere Schichten gleichzeitig präsent und regen uns dazu an, gleichzeitig verschiedene Formen und Gestalten zu sehen. Nur im Sehen wird das Vergangene
gegenwärtig.“

Ohne Titel, Acryl auf Leinwand, 100 x 245 cm, 3-teilig


 
 
 
 
   
   
   

Auszüge aus einem Gespräch mit Barry Cotton, anlässlich der Ausstellung vom Februar/März 2005 in der Galerie „Die Aussteller“:

„Zurzeit mache ich zwei Sachen, die grösseren Acryl-Bilder auf Leinwand bzw. Baumwolle, und die kleineren Papierarbeiten ...
Bei den Arbeiten auf Leinwand fange ich mit mehreren Leinwänden, vielleicht 10 o-der 12, gleichzeitig an. Es ist eine Arbeit zwischen Herz und Kopf, in ständigem Wechsel ... es kommt die Kopfarbeit, ich nehme Formen und Bildkomposition wahr, dann addiere ich, eine zweite Farbe kommt hinzu ... das Unbewusste spielt hinein: wenn es mir zu stark gewollt erscheint, komme ich wieder mit dem Gefühl, mit dem Herz, um das streng Geformte aufzulockern ... dann wieder Zumachen mit Weiss, mit Gelb oder einer andern Farbe ... im Nachhinein denke ich, dass es etwas mit dem Buddhismus zu tun hat, mit der Vergänglichkeit, die sehr wichtig ist; auch, wie Dominik Perler geschrieben hat, mit den Schichten aus der Kindheit, die immer noch da sind; der erste Pinselstrich, der auf die Leinwand kommt, sieht man beim fertigen Bild immer noch durchscheinen. Schliesslich ergeben sich verschiedenste Formen, die aber alle voneinander abhängig sind, auch dies eine im Buddhismus wichtige Idee ... Die Bilder sollen Energie zeigen. Es gibt pflanzliche Teile, körperliche Formen, Mineralisches, alles soll im Fluss sein, in Bewegung ... das Vergangene und die Gegenwart sollen ineinander greifen ... Chaos und Ordnung, das ist auch vorhanden, vom Kopf das Konstruierte, und wenn ich merke, dass etwas zu starr, zu perfekt wird, muss ich es zerstören, und dann wird etwas Neues geboren.“