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Auszüge
aus einem Briefwechsel zur Ausstellung
“Metamorphosen der Fliege Drosophila und anderer gezeichneter Gestalten”
in der Galerie “Die Aussteller” , Basel
28.4. – 20.5.2006
Du
willst Deine Ausstellung in unserer Galerie "Metamorphosen der Fliege
Drosophila und anderer gezeichneter Gestalten" nennen. Wie kommt
die Drosophila, das "Haustier der Genetiker", zu dieser Ehre?
Also, ob das eine Ehre ist für das Haustier der Genetiker, ich weiss
nicht so recht. Wir haben ja die Erfahrung gemacht, dass auch der Blickwinkel
der Genetiker – wie der von uns weniger bedeutenden Menschen –
ein begrenzter ist.
Immerhin:
Professor Walter Gehrig, am Basler Biozentrum tätig und durch seine
Versuche mit der Fruchtfliege Drosophila berühmt, hatte nach unserer
letzten Ausstellung (Spiegelungen, 2003; es gab damals Besucher, die Parellelen
sehen wollten in der Arbeit Gehrig's und in den Bildern: Gensequenzen
resp. Bildformen zerstückeln und neu zusammensetzen) eine Foto dieser
Fliege geschickt, schön frontal, symmetrisch, die roten Facettenaugen
auf die Vorderbeine gepflanzt (durch das “twin of eyeless”-Gen
induziert, wie das offenbar fachmännisch heisst).
Dazu
sein Kommentar “ich hoffe, dass das Bild als Inspiration wirkt”.
Das tat es aber vorerst überhaupt nicht. Es wurde bei mir irgendwo
vergraben. Erst nach längerer Zeit begann es mich zu reizen, die
für meinen Blickwinkel recht fantasiearme Darstellung umzuzeichnen
und aus ein paar zerstückelten Fragmenten eine neue Gestalt zu entwickeln:
Grundlage einer Serie aus 40 darauf bezogenen Farbstiftzeichnungen. Et
voila – die werden jetzt ausgestellt.
Du
verwendest “zerstückelte Fragmente” und “Deinen
Blickwinkel” für die Entwicklung der neuen Serie. Die Ausstellung
von 2003 hiess “Spiegelungen” und mir scheint, Du bist vom
damaligen Prinzip nicht weggegangen und verwendest immer noch Spiegelungen,
Achsen, Symmetrien für die Entwicklung Deiner neuen Gestalten –
Elemente aus der Geometrie. Da gibt es doch einen Plan? Kannst Du uns
Dein “Schema” aufzeichnen?
Spiegelungen sinds immer noch, aber sie sind komplexer geworden. Ich gehe
wie früher von einer freien Zeichnung (ich nenne sie gern Grundgestalt)
im Quadratformat aus – in dem Fall der Drosophila eben von einer
freien Umsetzung der zerstückelten Fotografie - die ich zuerst seitenverkehrt
kopiere, dann in verschiedenen Arbeitsvorgängen neu zusammensetze.
Natürlich gibt es, wenn man eine Form an ihr seitenverkehrtes Abbild
andockt, eine Achse. Mit Geometrie hat das wenig zu tun, meiner Meinung
nach. Von Plan kann schon gar keine Rede sein. Was mich interessiert und
immer wieder fasziniert hat, sind die aus einer derart simplen Machart
entstehenden komplexen und unerwarteten Bilder. Der Witz ist ja gerade,
dass die Folgen kaum planbar sind.
“Spiegelungen” hiess die letzte Ausstellung; das wurde mir
auf die Dauer zu formal und hat vielleicht manche Leute ein wenig abgeschreckt.
Die Titel der neuen Sachen sind mehr auf einer – assoziativen –
inhaltlichen Ebene. Fast jede der ausgestellten Arbeitsgruppen hat ihre
eigene formale Struktur (für mich), die ich hinterher zum Teil gar
nicht mehr nachvollziehen kann – und will. Baupläne dazu sind
nicht erhältlich.
PS: “Wie sich komplexe Strukturen aus höchst einfachen Prozessen
entwickeln, das ist die Lektion, die wir aus dem Studium lebendiger Organismen
und tierischer wie menschlicher Gesellschaften lernen können”.
Dieser Satz von György Ligeti, den du an meiner Atelierwand entdeckt
hattest, hängt nicht ganz zufällig dort……
Der Text von Ligeti in Deinem Atelier ist mir natürlich auch
aufgefallen. sag doch bitte noch etwas mehr dazu.
“Sag es mit Goethe”. Du hattest mir ja sein Gedicht “Die
Metamorphose der Pflanze” geschickt. Vermutlich würden unsere
Genetiker, falls sie das läsen, zusammenzucken, aber was soll´s.
Ich habe bis jetzt bewusst nichts über Metamorphosen gelesen, um
mich nicht durch irgend welche Vorbilder zu blockieren. Mir gefällt
der Begriff, da er für mich etwas Offenes hat, vielleicht sogar etwas
von einem “Geheimnis”.
Es
gibt übrigens auch komponierte Metamorphosen (z.B. von Benjamin Britten,
Richard Strauss, Paul Hindemith), die wissenschaftlich vermutlich ebenfallls
nicht ganz stubenrein sind. Dies als Vorwort.
Nun
zu Goethen:
……..
Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern;
und so deutet der Chor auf ein geheimes Gesetz,
auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin,
überliefern sogleich glücklich das lösende Wort!
……..
Einfach schlief in dem Samen die Kraft, ein beginnendes Vorbild
lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos;
trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,
quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,
und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung;
und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind.
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet,
Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.
………
Klar klingt das für uns alles schräg und zopfig. Aber ich kann
mir nicht helfen, als ich das las, hat es mich getroffen wie eyn Pfeyl.
Was gibt es darüber hinaus in Sachen “Plan” noch zu sagen?
(Ausser vielleicht, dass es bei meinen Gestalten natürlich nicht
so “lyrisch” zugeht).
... es ist offenbar auch heute noch möglich, bei Goethe Zuflucht
zu nehmen. Bei ihm geht's aber so weiter:
... Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche,
scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein.
Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen,
die Bildung an und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.
Das aber scheint mir nun nur Goethe und nicht Münch zu sein.
Bei Deinen zuletzt entstandenen Bildern scheint es mir nicht lyrisch und
auch nicht klassisch oder sanft zuzugehen. Ich sehe da fasziniert zu,
wie die Formen sich aus dem "geheimen Gesetz" herauslösen
und sich, ohne Aufheben zu machen aber mit einer gewissen Waghalsigkeit,
verselbständigen. Fantasiere ich? Bin ich daneben?
Neinnein, du bist gar nicht daneben. Ich kann dazu gar nichts weiter sagen.
...
dein “ich kann dazu gar nichts weiter sagen” ist mir doch
etwas zu einfach. Goethe zieht seine strenge Form, rigoros durch 80 Verse
hindurch, du aber - so kommt es mir wenigstens vor – drückst
im Verlauf deiner Arbeit von innen gegen den Panzer der selbst auferlegten
Regeln und das Ganze erhält Risse, durch die man hindurch sehen kann
...
Mit den Rissen hast du natürlich völlig recht. Schon als ich
vor bald sechs Jahren auf die “Spiegelungen” gestossen bin,
war mir klar, dass ich die allseitige symmetrische Harmonie einmal wieder
stören musste. Ebenfalls war mir klar, dass das Zeit braucht. Eigentlich
nur im Hinblick darauf habe ich die Arbeit daran nach unserer letzten
Ausstellung fortgesetzt. Es gab viele Ansätze. Erreichen, war mir
vorschwebte, konnte ich erst nach meinem Spitalaufenthalt im vergangen
Sommer.
Eine
andere Frage: Goethe wird häufig zitiert, aber Ligeti? Du erwähnst
im Vorbeigehen komponierte Metamorphosen von Britten, Hindemith, Richard
Strauss.
Einer deiner früheren Zyklen befasste sich mit dem Zwölftöner
“A..L.”.. Sag doch bitte etwas über das Verhältnis
Musik – Malerei.
Meine Meinung zur Beziehung zwischen Musik und Malerei? Es gibt ja unzählige
Versuche, das eine Medium ins andere zu übertragen. Versuche, die
eigentlich alle, in unterschiedlichem Ausmass, gescheitert sind wegen
der Unvereinbarkeit der Statik des Bildes mit der Bewegung der Musik in
Zeit und Raum. Du weisst, dass ich “es” schlussendlich auch
nicht lassen konnte mit meinem “Zyklus A.L.”. Mein Trick bei
dem Versuch war, von Musik auszugehen, die es nur als Literatur gibt (Dr.
Faustus von Thomas Mann), also quasi schon in eine statische Form umgesetzt
ist. Natürlich ist das auch misslungen (das schliesst aber nicht
aus, dass mir vieles immer noch gefällt und ich sogar ein wenig stolz
bin darauf).
Erich Münch (10.4.2006)
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